Kurzgeschichten – spannende, dramatische und unterhaltsame Erzählungen aus dem Deutsch Leistungskurs von Frau Gneuß

Im Modul „Literatur und Sprache um 1900 – Neue Ausdrucksformen der Epik” erhielten die Schüler/ -innen die Aufgabe, unter Verwendung von Elementen des  Erzählens  schriftlich zu erzählen. Das Thema und den Inhalt betreffend, waren die Schüler/-innen bei ihrer Wahl frei. Entstanden sind sehr gelungene  Kurzgeschichten, die nun wöchentlich veröffentlicht werden. Viel Spaß beim Lesen!

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Was sie nie tun wollte, geschweige denn sollte (Erzählung von Josefine Schipper)

Wie fast jeden Nachmittag wurde Mini-Mae, wie ihre Eltern sie liebevoll nannten, von diesen von der Schule abgeholt. Mini-Mae, die eigentlich Marie hieß, hatte diesen Spitznamen bereits seit ihrer Geburt. Warum wusste sie nicht, nur dass sie ihn auch fast ebenso lange schon verabscheute. „Das klingt wie das, was es mal war. Ein Name für ein Baby!“, ruft sie daher mal wieder ihren Eltern entgegen, die sie mit dem Spitznamen begrüßt hatten. „Das bin ich aber nicht mehr. Fast 17! Kriegt das in den Kopf!“, fauchte sie, als sie im Auto saß. „Alles gut bei dir?“, fragte ihre Mutter daraufhin etwas erschrocken über diese mehr als kühle Begrüßung. „Ja.“, antwortete Marie trocken und ihre Eltern kannten sie lange genug, um zu wissen, dass man sie in dieser Stimmung besser erst mal in Ruhe ließ. Gut war jedoch eigentlich gar nichts bei Marie. „Deine Eifersucht ist manchmal einfach nur lächerlich!“, hallte die Stimmung ihrer besten Freundin noch immer durch ihren Kopf. „Besten Freundin? Vielleicht ab jetzt lieber nur noch Bekannten…“, dachte Marie leise. Nach einer Viertelstunde versuchte es ihr Vater noch einmal vorsichtig und fragte leise, ob sie drüber reden möchte. „Nicht wirklich. Es war nur ein unnötiger Streit“, fauchte sie wieder, wenn auch weniger bissig als letztes Mal, zurück. Nur ein Streit, war es jedoch ebenso wenig. Es war der heftigste Streit, den sie je hatte. Wegen einem Jungen hatte sie ihre Freundschaft vermutlich verspielt, etwas was sie mit 12 geschworen hatte, niemals zu tun. „Mit?“, unterbrach ihre Mutter Maries Gedankengang. „Laurel“, flüsterte sie nun traurig und log, „aber das wird schon, war ganz harmlos eigentlich.“
Daraufhin ließen ihre Eltern sie für die restliche Fahrt in Ruhe. Immer wieder spielte sich der Streit in ihrem Kopf ab. Wie sie in die Pausenhalle kam und sah, wie Laurel da stand. Alleine. Bis auf Maries Freund, der für ihren Geschmack ein bisschen zu nah an Laurel stand. Und das war ein Schwachpunkt und auch schon immer einer gewesen. Seitdem Laurel ihr Philipp bei einer Party vorgestellt hatte, hatte sie das ungute Gefühl, manche würden es vielleicht Eifersucht nennen, dass zwischen ihnen was läuft. Dieses Gefühl kam auch jetzt wieder auf. Alles nach dem Gefühl ist leicht verschwommen. Wie sie auf Laurel zu ging, sich zwischen die beiden quetschte. Wie sie Laurel dafür leicht zur Seite schubste und diese sie daraufhin zurück. Was jedoch klar blieb, waren die Worte von Laurel die sie nach einigen Minuten des Streites Marie ins Gesicht schrie. Philipp war da zum Glück schon weg, aber fast die halbe Schule hörte es trotzdem. „Deine Eifersucht ist manchmal einfach nur lächerlich!“ Dabei wusste Laurel, dass es Marie treffen würde, so was zu sagen. Beiden stiegen nach der Bemerkung daher die Tränen in die Augen, aber bevor ein weiteres Wort fallen konnte, klingelte es und die beiden gingen sich seitdem aus dem Weg. Marie und ihre Eltern waren mittlerweile beim Abendessen, als diese Erinnerung noch immer in ihrem Kopf geisterte. „Marie!“, holte sie ihre Mutter letztlich wieder zurück. „Ach guck mal, ihr habt gelernt“, entgegnete diese jedoch nur stumpf. „Sonst reagierst du nur weitere fünf Minuten nicht“, warf ihre Mutter ihr genervt entgegen und erinnerte sie, „wir gehen gleich los und sind dann bei Plüsches. Wenn was ist, ruf an, ok? Und sonst mach dir n schönen Abend, aber bleib bitte nicht zu lange auf.“ „Ist ok“, antwortete Marie und nur zehn Minuten später hatte sie das Haus für sich. Das ziemlich große Haus und auch wenn sie solche Abende liebte, heute nach dem Streit war ihr das Haus etwas zu groß und einsam. Sie setzte sich in das Wohnzimmer und bereute den Vormittag langsam, da sie Laurel nun nicht einmal anrufen konnte, um nicht mehr allein zu sein. Da hörte sie jemanden am Fenster nebenan. „Nicht heute!“, schoss es ihr durch den Kopf und sie wunderte sich darüber. Als die Geräusche mehr wurden, verwarf sie die Verwunderung und überlegte, was sie tun sollte. Nichts. Die Antwort gab nicht sie, sondern ihr Körper, der wie versteinert auf dem Sofa festsaß, als sie plötzlich spürte, wie eine große Gestalt hinter ihr im Türrahmen stand. „Dieses verfluchte Sofa! Warum steht es auch mitten im Raum?“, schoss ihr durch den Kopf. Aber gleichzeitig noch zwanzig andere Gedanken, als die Person sich räusperte. Ihre Schockstarre löste sich jedoch erst, als eine vertraute Stimme begann zu flüstern: „Es tut mir leid. Das mit heute. Ich hätte das nicht sagen dürfen.“ Laurel. Erleichterung ließ Marie aufstehen und sich umdrehen. „Ich bin gestorben! Weißt du das? Gestorben!“, rief sie Laurel entgegen, wobei ihre Stimme zitterte. Als sie aber in Laurels Gesicht blickte, der jetzt erst auffiel wie gruselig ihr Verhalten gerade war, musste sie lachen und war froh darüber. „Schon in Ordnung. Lass uns den Streit hinter uns bringen. Vielleicht hast du Recht und ich bin ein bisschen zu eifersüchtig“, verzieh Marie Laurel und nahm sie in den Arm. „Ein bisschen?“, entgegnete diese, froh, dass Marie ihr verzieh.

„Lass uns doch lieber zu Ben fahren, wenn du das Haus hier eh so gruselig findest“, quengelte Laurel wieder, als die beiden die halbe Packung Chips auf hatten. „Und wie kommen wir hin?“, ging Marie nun erstmals auf den Vorschlag ein. „Philip“, antwortete Laurel schnell, merkte dann aber, dass er immer noch ein wunder Punkt war und fügte leise hinzu, „ich meine, du kannst Philip fragen.“ „Na gut“, willigte Marie letztlich ein. Sie fragte ihren Freund und eine Dreiviertelstunde später standen die drei vor Bens Haus und hörten die Musik bereits im Auto aus dem Haus tönen. Ben wohnte am anderen Ende der Stadt und gab regelmäßig große Partys. „Fast schon traurig, dass er das kann“, dachte Marie, aber über Bens verkorkste Familie wollte Marie jetzt nicht auch noch nachdenken. Nach ein paar Getränken tanzten Marie, Laurel und Philipp bereits ausgelassen in Bens Wohnzimmer mit etwa der halben Stufe ihrer Schule. Regelmäßig ging einer Getränke holen und als Marie nach dem letzten Rundgang wiederkam, ließ sie die Getränke fast fallen. In der Mitte des Raumes stand Laurel, zwar ziemlich betrunken, aber dennoch bei Verstand, vor Philipp und zog ihn an sich ran. Das Schlimmste jedoch war, wie Marie sah, dass dieser, als Fahrer für den Abend nüchtern, nichts dagegen unternahm und die beiden anfingen rumzumachen. Jetzt war sie froh, dass sie die Getränke nicht fallen ließ und ging mit festen Schritten auf die beiden wichtigsten Personen ihres Lebens zu. „Ich hab es gewusst!“, schrie sie ihnen entgegen, wobei sie beiden ein Getränk an den Kopf warf. Außer sich stürmte sie aus dem Haus zur Straße, die sie begann, Richtung Hauptstraße runterzugehen. Laurel rannte ihr hinterher, aber schien sich nicht schneller zu trauen. Immer wieder rief sie: „Stop! Wo willst du denn jetzt hin? Bitte, wir müssen reden!“, aber Marie blieb nicht stehen. Sie wusste auch nicht wo sie hin wollte. „Nach Hause, aber wie?“, ging es immer wieder durch ihren Kopf. Zum Laufen wäre es zu weit, also tat sie das, was sie nie tun wollte, geschweige denn sollte. Mit ausgestrecktem Daumen stand sie an der Straße und wartete. Die kühle Nacht wirkte immer dunkler und bedrohlicher, als endlich ein Auto anhielt, in das sie ohne weiter nachzudenken einstieg. „Mittelalter, weißer Mann mit Kinnbart und leicht schrägem Lächeln“, prägte sie sich direkt ein, für den Fall, dass das hier schief ging, was sie schaudern ließ. „Wohin geht‘s denn?“, fragte dieser mit ruhiger, etwas zu ruhiger Stimme. Marie war jetzt allerdings alles egal, also nannte sie ihre Adresse und die beiden fuhren los. Im Auto lag ein ungewohnter Geruch. Es stank nicht und roch auch nicht nach Raucher, aber dennoch lag eine Art Qualm und etwas Siffiges in der Luft. Marie wollte aussteigen, doch das ging nicht mehr. Der Mann neben ihr warf ihr immer wieder ein merkwürdiges Grinsen zu, fuhr weiter und dabei viel zu schnell. Marie bekam langsam Angst, ließ sich jedoch nichts anmerken und als sie in ihre Straße einbog, wurde diese Angst erst weniger, als sie die Tür aufmachte und ausstieg. „Sicher, dass du aussteigen willst?“, fragte der Mann sie dabei noch einmal mit einer so kühlen Stimme und so einem gekünstelten Lächeln, dass es Marie kalt den Rücken runterlief und sie zur Haustür rannte. Sie schaute sich noch einmal um, sah jedoch lediglich ein anderes Auto vorbeifahren, von dem sie im ersten Moment dachte, Laurel säße drin. Sie schob es auf die wieder aufkommende Wut und Angst und ging schnell ins Haus. „Mini-Mae?!“, hörte sie die aufgebrachte Stimme ihrer Mutter von drinnen. „Ja ich bin‘s. Es tut mir leid, ich war bei Ben. Ich hätte euch Bescheid sagen sollen“, antwortete Marie, als sie ins Wohnzimmer trat. Dort saßen ihre besorgten Eltern, ihre Mutter mit dem Telefon in der Hand und ihr Vater von den Nachrichten gebannt. „Gestern Morgen wurde der 43-jährige Jan S. nach zehn Jahren Haft entlassen. Verurteilt wurde er für die Vergewaltigung von vier jungen Frauen, sowie den Mord zweier dieser jungen Frauen, welche er zuvor per Anhalter mitnahm“, tönte die Stimme der Nachrichtensprecherin aus dem Fernseher. Marie konnte es nicht fassen. „War er das gewesen?“, fragte sie sich still. Schnell konnte sie diese Frage jedoch mit Nein beantworten, als sie das Bild des Verurteilten im Laufe des Berichts sah. Dennoch überkam sie eine Erleichterung, da ihr bewusst wurde, dass sie heute extrem Glück gehabt hatte. „Wie bist du nach Hause gekommen?“, fragte ihr Vater nach der Durchsage skeptisch, als er seine Tochter ansah. Diese antwortete knapp „Philipp“, und rannte in ihr Zimmer, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, die ihre Eltern beunruhigen könnten.

Am nächsten Tag wachte Marie schon früh nach einer ziemlich schlaflosen Nacht auf, machte sich fertig und ging nach dem Frühstück zur Schule. Sie wollte nicht, da dort Philipp und Laurel sein würden, aber sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Doch Laurel war nicht da. Alle möglichen Schimpfwörter und Beleidigungen schossen Marie durch den Kopf, als sie das erfuhr, doch ganz vorne dabei war „Feigling“. Zwar war sie auch einer, wie sie dachte, da sie Philipp umging, aber wenigstens war sie da. Und da erfuhr sie, dass Laurel ihr gestern nachgefahren ist. Mehrere von Maries Klassenkameraden hatten beobachtet, wie ihre ehemalige beste Freundin sich direkt nach ihr an die Straße stellte und völlig unter Tränen den Daumen rausstreckte, um schließlich in ein dunkles, ranfahrendes Auto zu steigen. Und während Marie schon schlecht vor bösen Vorahnungen wurde, klingelte ihr Handy. „Bitte Laurel!“, schrien ihre Gedanken und sie bereute bereits jedes schlechte Wort, dass sie über Laurel gedacht hatte, als auf der anderen Seite eine feste, weibliche Stimme erklang: „Guten Tag, hier ist die Polizei. Wir würden ihnen gerne ein paar Fragen zu ihrer Freundin Laurel stellen. Sie kam gestern Abend nicht mehr nach Hause.“ Und obwohl die Stimme noch weiterredete, konnte Marie nicht mehr zuhören, rannte zur Toilette und übergab sich, da ihre Welt zusammenzubrechen schien.