Kurzgeschichten – spannende, dramatische und unterhaltsame Erzählungen aus dem Deutsch Leistungskurs von Frau Gneuß

Im Modul „Literatur und Sprache um 1900 – Neue Ausdrucksformen der Epik“ erhielten die Schüler/ -innen die Aufgabe, unter Verwendung von Elementen des  Erzählens  schriftlich zu erzählen. Das Thema und den Inhalt betreffend, waren die Schüler/-innen bei ihrer Wahl frei. Entstanden sind sehr gelungene  Kurzgeschichten, die nun wöchentlich veröffentlicht werden. Viel Spaß beim Lesen!

.

COVID-2021

Als Olivia das Radio anschaltete, glaubte sie, sich verhört zu haben. Es konnte doch nicht stimmen, was der Nachrichtensprecher da mit aufgeregter Stimme von sich gab. „Hast du das gehört?“, fragte sie ihre Schwester, die hinter dem Lenkrad saß und auf die Straße achtete. „Mhh, nein. Was denn?“ „Sie sagen, dass es eine weitere Mutation des Virus gegeben haben soll. Eine, die uns innerhalb der nächsten drei Stunden direkt umbringe und hochansteckend sei. Sie soll für lauter Verfärbungen an unserem Körper sorgen und sich rasend schnell verbreiten. “ Lucy warf ihr einen skeptischen Blick von der Seite aus zu. „Das glaubst du doch wohl selber nicht.“ Olivia lehnte sich in ihren Sitz zurück und starrte aus dem Fenster. Regentropfen verzerrten ihr Spiegelbild.

Vor drei Tagen war die Beerdigung ihrer Eltern gewesen, die dem Virus zum Opfer gefallen waren. Das Virus war eine Krankheit, die zuerst in China ausgebrochen war und angeblich von Fledermäusen kommen solle. Innerhalb von fünf Monaten hatte es sich weltweit verbreitet und schon über 12 Millionen Opfer gefordert. Und es war kein Ende in Sicht. Das Problem war, dass es sich immer weiterentwickelte und neue Mutationen entstanden, die erst erforscht werden mussten, bis ein Medikament gefunden wurde.

„Liv, alles wird gut.“ Nichts wird gut, schoss es Lucy durch den Kopf. Wie auch? Nachdem nun auch ihre Eltern gestorben waren, wie sollte es? Und wenn es jetzt tatsächlich eine weitere Mutation gab, die noch viel ansteckender und tödlicher war als alle zuvor, konnte dies das Ende der Menschheit bedeuten.

„Lass uns einfach eben einkaufen gehen und danach direkt nach Hause, ja?“ Olivia nickte ihr zu. „Versprich mir, dass du mich nicht alleine lässt.“ Sie blickte Lucy bittend an, während sie gleichzeitig ihre Jacke umklammerte. „Versprochen. Wir bleiben zusammen.“

Das Auto der beiden Schwestern bog auf den Parkplatz des örtlichen Supermarktes. Lucy, die gerade erst 20 geworden war, setzte gekonnt den Rückwärtsgang ein und parkte in die letzte freie Lücke. „Auf geht’s Liv, lass uns reingehen, dann kommen wir schnell wieder nach Hause.“ Ausgerüstet mit Masken stiefelten die beiden Seite an Seite in den Laden und schnappten sich jeweils einen Einkaufswagen. Während sie so durch die Gänge liefen und ab und zu mal was in ihre Wägen warfen, erklang auf einmal über der normalen Hintergrundmusik eine durchdringende Stimme: „Achtung, Achtung! Ich bitte sie alle, mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Wie sie vielleicht schon mitbekommen haben, ist das Virus erneut mutiert, nur diesmal zu einer noch ansteckenderen und tödlicheren Version. Die Betroffenen sind hochansteckend, an auffälligen Verfärbungen auf der Haut erkennbar und versterben innerhalb der nächsten Stunden.“ Olivia warf Lucy einen erschrockenen Blick zu. „Aber Luc-“ „Wir wissen nicht genau welche die gefährdeten Gruppen sind, Fakt ist allerdings, dass es sich rasend schnell verbreitet und nur wenige dagegen immun zu sein scheinen. Wir bitten sie alle, zuhause zu bleiben und sich für die nächsten Tage zu verbarrikadieren. Vielen Dank, hoffen wir das Beste.“

Lucy stand wie versteinert im Laden, die Hand ihrer kleinen Schwester fest umklammert, während um sie herum Panik auszubrechen schien. Die Menschen rannten panisch umher, stießen sich gegenseitig an, griffen nach allen möglichen Gegenständen in den Regalen und versuchten nach draußen zu gelangen.

„Bitte bewahren sie Ruhe“, hörte sie eine einschneidende Stimme. Ein Mann stand am Ende des Ganges und starrte die Menschen durchdringend an. Für einen Moment herrschte Ruhe, die Menschen hielten einen Moment inne, blickten zu dem Mann, der die Situation gelassen zu überblicken schien. Doch im nächsten Moment wurde er von einem hysterisch kreischenden jungen Mann umgestoßen, der panisch „Wir werden alle sterben!“ durch die Gegend schrie. Sofort brach wieder Panik unter den Menschen aus, die sich gegenseitig die Toilettenpackungen aus den Händen rissen und über den Haufen trampelten.

„Komm, lass uns hier raus“, flüsterte Liv ihr auf einmal zu. Ihre Hand immer noch festhaltend, presste sich Liv an das Regal hinter ihr und versuchte sich an der Menschenmenge vorbeizudrücken. Endlich reagierte auch Lucy, die so langsam wieder zur Besinnung zu kommen schien und ihrer Schwester hinterher folgte. Hand in Hand näherten sich die beiden immer weiter dem Ausgang, als Olivia auf einmal abrupt innehielt und Lucy fast gegen sie stieß. „Siehst du das?“, fragte Liv leise flüsternd. Sie zeigte direkt auf einen Mann im mittleren Alter, der gerade eine ältere Frau zu Boden stieß, um sich die Nudeln zu schnappen, die hinter ihr im Regal lagen. Auf seiner Haut hatten sich kleine blaue Flecken gebildet, die sich langsam immer weiter ausbreiteten und nun sogar schon seinen Hals erreichten.

„Oh Gott, das ist es, oder?“, fragte Liv und atmete immer hektischer. „Bloß raus hier!“ Mittlerweile hatte es Lucy aufgegeben zu flüstern, da sowieso alles, was sie von sich gab, in dem Geräuschpegel unterging. So viel Körperkontakt vermeidend, wie es ging, versuchten die beiden sich nach draußen zu drängeln, um zum Auto zu gelangen.

Kurz bevor sie die Tür erreichten, umfasste auf einmal eine kalte Hand Lucys rechten Arm und hinderte sie am Weiterlaufen. „Wo denkst du, dass du mit dieser Mehlpackung hingehst?“ Ganz langsam blickte Lucy erst auf ihre rechte Hand, die noch immer die Packung Mehl umklammerte, danach auf die Hand, die ihren eigenen Arm festhielt. Während ihr Blick immer weiter zu dem Gesicht der Frau hochwanderte, tauchten immer mehr kleine blaue Flecke in ihrem Sichtfeld auf, bis sie letztendlich in die kalten Augen der Frau vor ihr blickte. Es war die ältere Dame, die der infizierte Mann eben umgestoßen hatte und von dem die Krankheit wohl auf sie übergegangen sein musste. „Hier, sie können sie haben.“ Mit zitternder Hand reichte sie der Frau das Packet Mehl, die sofort gierig danach griff und es sich unter den Mantel stopfte, unter welchem schon allerhand andere Sachen hervorlugten.

Sie quetschte sich ohne ein weiteres Wort an Lucy vorbei, nichts ahnend, welches Schicksal, sie gerade eben über die Schwestern gebracht hatte. Wie vom Donner getroffen, starrte Lucy in die großen Augen Livs, die ihre Hand losgelassen hatte. „Lucy…“ „Lass uns dich hier rausbringen.“

Beide verließen den Laden, der immer weiter im Chaos versank und in dem sich immer mehr Leute quetschten, um noch ein paar letzte Lebensmittel einzukaufen, bevor sie sich für Wochen verschanzen würden. Leider schien dabei keiner die sich vermehrenden blauen Flecken auf der Haut der Menschen zu sehen, die nach und nach von jedem Besitz zu ergreifen schienen.

Als sie das Auto erreichten, öffnete Lucy die Fahrertür und nickte Olivia zu. „Auf geht’s, du fährst. Ich geh auf den Rücksitz.“ „Aber Lucy, ich darf noch nicht offiziell…“ „Ist egal, glaub mir. Niemand wird dich anhalten.“

Während Olivia auf die Straße achtete, die immer leerer wurde, blickte Lucy auf ihren Arm hinab. Die blaue Verfärbung von der älteren Dame, hatte sich ausgebreitet und kroch langsam ihren Arm hinauf. Seufzend warf sie einen Blick aus dem Fenster. Obwohl eben in dem Laden so ein Chaos geherrscht hatte, war die Straße jetzt wie ausgestorben. Kein Mensch schien sich auf der Straße aufhalten zu wollen. Sie wickelte sich eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. Eigentlich hatte sie sie schneiden wollen, aber dann kam der Tod ihrer Eltern dazwischen und irgendjemand hatte sich um Olivia kümmern müssen.

Als das Auto langsam zum Stehen kam, hatte Lucy ihren Kopf an die Scheibe gelehnt. Auch auf ihrem anderen Arm hatten sich mittlerweile ein paar Flecken gebildet. „Kommst du?“, fragte Liv. Lucy öffnete langsam die Tür und stieg aus dem Auto. Vielleicht bildete sie es sich ein, aber sie hatte schon jetzt das Gefühl, dass ihre Kraft langsam verschwinden würde.

Gemeinsam gingen die beiden ins Haus, wobei Lucy sehr genau darauf achtete, ihre Schwester nicht zu berühren. „Liv, die Frau, sie hat mich berür-“ Ihre Stimme geriet ins Stocken. Der Klos, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, schien unüberwindbar. Liv drehte sich zu ihr um. „Was? -“ Sie blickte Lucy entsetzt an. All die Erinnerungen an ihre Eltern schossen ihr durch den Kopf, als sie Lucys Arme betrachtete, die sich immer weiter blau verfärbten. „Nein, das kann nicht sein.“ „Du musst jetzt stark sein Liv, ich weiß du schaffst das.“ Livs Augen füllten sich langsam mit Tränen. „Nein! Ich will nicht!“ Ohne einen Augenblick länger zu warten, schmiss sie sich in die Arme ihrer großen Schwester, die sie ganz perplex anguckte. „Nein, Liv…“ Liv drückte Lucy noch fester an sich und versteckte ihr Gesicht in ihrer Kleidung. „Ich will nicht.“

Noch immer umarmend sanken die beiden langsam Richtung Boden und hielten sich aneinander fest. Dort saßen sie mehrere Minuten, weinend, sich gegenseitig haltend, während sie beobachteten, wie die Flecken auf ihren beiden Armen sich langsam vermehrten.

Insgesamt starben innerhalb der ersten paar Stunden durch den neuen Mutanten des Virus nochmal mehr als die doppelte Anzahl, der vorigen Opfer und innerhalb der nächsten Wochen reduzierte sich die Population der Menschheit auf Rund ein Achtel der ursprünglichen Bevölkerung.