Im Gespräch mit einem Flüchtling aus dem Sudan

Heutzutage kann jeder etwas mit der Flüchtlingsthematik anfangen. Jedoch kann nicht jeder dem allgemeinübergreifenden Wort „Flüchtling“ ein Gesicht und eine dazugehörige Geschichte zuordnen, erst recht nicht aus eigener Erfahrung. Diese Chance bekamen am 28.11.2018 einige Oberstufenschülerinnen und -schüler des Gymnasiums Oesede, als der 25-jährige Flüchtling Sami Mohammed, der nun seit zweieinhalb Jahren in Deutschland lebt, an die Schule kam, um die Geschichte seiner Flucht mit uns zu teilen. Den Kontakt für die eindrucksvolle Begegnung hatte Deutsch- und Politiklehrerin Karin Comfere hergestellt.

Samis Flucht begann im Februar 2014, als er sich entschloss, seine Heimat, den Sudan, aufgrund von Kriegen, Machtkämpfen und Gewalt zu verlassen. Zuvor, so erzählte er uns, hatte er mit seinen Eltern und acht Brüdern auf einem Bauernhof in der Stadt Raja im Südsudan gelebt, doch da er sich weiterentwickeln und zur Schule gehen wollte, verließ er mit 13 Jahren seine Familie. Seither habe er weder seine Mutter noch seine Brüder gesehen. Lediglich seinen Vater traf er nach dem Abitur 2011 in Raja und half ihm auf dem familieneigenen Hof. Einige Zeit später musste er mitansehen, wie sein Vater von Soldaten ermordet wurde. Dies sei der Moment gewesen, in dem er entschieden habe, ein Flüchtling werden zu wollen, da sein Vater ihm riet zu gehen und ihn zurückzulassen, wenn er leben wolle.

Dann begann Sami von seiner Flucht, vor allem aber von den Hindernissen während der Flucht zu erzählen. Noch bevor er den Sudan verlassen konnte, wurde er festgenommen und kam erst nach acht Monaten wieder frei. Daraufhin beschloss er, zusammen mit sechs weiteren jungen Männern nach Libyen in ein Flüchtlingsheim in El Fasher zu fliehen. Dort lernte er zum ersten Mal soziale Projekte wie „Ärzte ohne Grenzen“ kennen.

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Danach folgte die gefährliche Flucht durch die Sahara. Sechs Monate seien sie gelaufen mit nur sechs Datteln und einer Flasche Wasser pro Person am Tag, berichtete Sami, und nur vier der sieben Geflüchteten hätten überlebt. Die verstorbenen Mitflüchtlinge hätten sie mit Sand bedecken und zurücklassen müssen. Auf die Frage, wie er sich während der Flucht orientiert habe, sagte er nur: „Ich bin immer nur im Dunkeln gelaufen, denn ich hatte keine Karte oder so. Die Sterne sind mein Google-Maps.“ Das nächste Hindernis: die Mafia. Die Mafia, so erklärte uns Sami, kapert Flüchtlinge und erzwingt Lösegeld von ihnen. Um auch ihre Familien zu erreichen, teile die Mafia Videos der Flüchtlinge in den sozialen Medien, was Sami uns am Beispiel seines Cousins zeigte. Sollten sie nicht in der Lage sein, das Geld aufzubringen, werden die Flüchtlinge entweder erschossen oder müssen Zwangsarbeit leisten. „Entweder Geld oder fertigmachen“, fasste Sami das Vorgehen der Mafia zusammen. Einen seiner Begleiter habe die Mafia erschossen, ihm und den anderen beiden sei es gelungen, eines Nachts vor der Mafia zu flüchten. Oft mussten sie während der Flucht kreativ werden und sich beispielsweise als Frau verkleidet auf LKWs verstecken. Auch auf dem Rest seiner Flucht sei er noch oft festgenommen oder mit einer Waffe bedroht worden, doch er habe sehr viel Glück gehabt, sagt Sami, und es jedes Mal überlebt.

Nach Europa kam er mit einem kleinen Boot, das über 1000 Leute nach Italien bringen sollte. Jedoch sei der Motor bereits nach sechs Stunden Fahrt kaputt gegangen und es sei ein Leck im Boot gewesen. In diesem Moment, sagte Sami, hätte er lieber sterben wollen, als weiter zu machen. Doch wieder habe er Glück gehabt, da die Italiener Helikopter sendeten und sie entdeckten, sodass er später auf Sizilien ankam. Von dort aus sei er mit dem Bus nach Rom gefahren. Sie waren die gesamte Zeit über obdachlos und besaßen nichts, daher bekamen sie vom Roten Kreuz Kleidung sowie etwas zu essen. Danach sei die Schwierigkeit gewesen, die französische Grenze zu überqueren, wozu die drei jungen Männer die Alpen überwinden mussten. „Wir haben es acht Mal versucht, und erst beim achten Mal hat es geklappt“, betont Sami. Nach diesem Hindernis seien sie nur noch zu zweit gewesen, erzählt er, da einer der Männer bei einem der Versuche abgestürzt sei. Von dort aus gelangte er über Paris und durch Belgien nach Aachen, das er am 13. Mai 2016 erreichte, bis er schließlich am 27. Mai im Landkreis Osnabrück ankam.

Seitdem lebt Sami in der Umgebung und lernt seit dem September 2016 Deutsch. Er betonte, es sei für ihn sehr wichtig gewesen, sich ein soziales Netzwerk aufzubauen und er habe niemals aufgegeben soziale Kontakte zu knüpfen. Schließlich hat er es mit der Hilfe seiner Freunde geschafft, eine Ausbildung zum Elektrotechniker anzufangen und lebt nun in einer multikulturellen WG.

Somit war der Vortrag beendet, doch es blieb noch genug Zeit, um Sami ein paar Fragen zu stellen. Die Frage, ob er mit seinem Fluchtbegleiter noch Kontakt habe, bejahte er, von seiner Familie habe er jedoch immer noch nichts gehört. Ob er nach dem Ende der Ausbildung noch hier in Deutschland bleiben darf, sei noch nicht ganz sicher, da er bisher nur eine Duldung erhalten habe. Sein Ziel, sagt er, sei es auf lange Sicht eine eigene Firma in seinem Heimatland zu eröffnen und die Bildung für junge Leute dort zu verbessern. „Und das alles hier“, sagte er am Ende und macht einen Schritt nach vorne, „war schon der erste Schritt zu meinem Ziel.“

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Text: Emma Haunhorst und Julia Rottmann (Q2)

Fotos: Malin Kasselmann (Q2) u. Stadtjournal Blickpunkt Georgsmarienhütte